Der folgende Kommentar gibt die Meinung des Autors wieder und ist kein offizielles Statement des Bündnis für digitale Bildung!
Als Vater dreier Gymnasiastinnen und Elternvertreter der Schulkonferenz war und bin ich gut über die Bewältigung des Lockdowns sowie der Umsetzung von Corona-Maßnahmen an der Schule meiner Kinder informiert. Zwar kenne ich aus Medien und Gesprächen auch die Situation anderer Schulen, im Folgenden beschränke ich mich jedoch auf die persönlichen Erfahrungen aus dem Gymnasium Martinum in Emsdetten (http://www.martinum.de).
Schon im Schuljahr 2017/2018 wurde am Martinum die Software Office365 der Firma Microsoft eingeführt. Das Officeprogramm kann im Webbrowser oder durch Installation auf PC, Tablet oder Smartphone verwendet werden – die Installation auf 5 Endgeräten ist zulässig. Mit der Einführung von Office365 ging einher, dass jede*r Schüler*in eine schulische E-Mail-Adresse erhielt. Bereits im Schuljahr 2018/2019 wurde das Office365-Programm OneNote ab Jahrgangsstufe 7 genutzt, um in Form eines Kursnotizbuchs Lernmaterial zur Verfügung zu stellen. So hat beispielsweise der Physiklehrer Fotos vom Versuchsaufbau oder die Mathelehrerin ein Foto des an die Tafel angeschriebenen Rechenwegs gemacht, diese in das Kursnotizbuch hochgeladen und am privaten Endgerät können die Schüler*innen dann darauf zugreifen.
Neben der Softwareausstattung wurde jeder Klassenraum mit einem Beamer, einem iPad sowie einem AppleTV sowie das gesamte Schulgebäude mit WLAN und einem Glasfaser-Internetanschluss ausgestattet. Mit dieser Hardware können Lehrer*innen beispielsweise kabellos Audiodateien oder Videos abspielen, Präsentationen zeigen oder papierbasierte Arbeiten von Schüler*innen fotografieren und der Klasse zeigen. Overheadprojektoren und Dokumentenkameras wurden aus den Klassen- und Kursräumen entfernt. Einigen Leser*innen stellt sich vermutlich die Frage, ob derartiges Equipment in einem Klassenraum ausreichend vor Vandalismus oder Diebstahl geschützt ist. Beamer und AppleTV (vereinfacht gesagt ist das ein Funkempfänger für Videosignale) sind unerreichbar unter der Decke montiert und bisher gab es keine Ausfälle, die auf Diebstahl oder Vandalismus zurückzuführen sind. Die iPads werden von den Lehrer*innen verwahrt.
Eigentlich wollte ich über die Bewältigung von Lockdown und Corona-Maßnahmen schreiben. Wozu also die Aufzählung der technischen Ausstattung?
Nun ja, mit dieser schulweiten Hard- und Softwareausstattung sowie den damit einhergehenden von Schüler*innen und Lehrer*innen seit einem Jahr erworbenen Kompetenzen im Umgang mit digitalen Lehr- und Lernmaterialien und der Erreichbarkeit der Schüler*innen per E-Mail war das Martinum für die Durchführung von digitalem Unterricht und Homeschooling gut gerüstet. Die Kommunikation per E-Mail lief problemlos, der Austausch von Materialien, Aufgaben und Lösungen über OneNote war allen vertraut und geschah fächer- und klassenübergreifend einheitlich. Im Verlauf des Lockdowns wurde aufgrund der besseren Übersichtlichkeit und des höheren Funktionsumfangs zur Applikation Teams gewechselt.
Natürlich war nicht alles gut und problemlos. Beispielsweise haben einige Lehrer*innen etwas Zeit gebraucht, um Formate und Materialien zu entwickeln, die sich für digitalen Unterricht eignen und mit denen sie alle Schüler*innen erreichen. Binnendifferenzierung ist hier ohne persönliche Ansprache der Lernenden nicht einfach zu realisieren. Auch die Erkenntnis, dass es nicht unbedingt motivierend für die Schüler*innen ist, dass sie täglich eine Seite im Buch lesen und die entsprechenden Aufgaben erledigen sollen, musste teilweise etwas reifen. Nach einigen Wochen gingen aber auch die Lehrer*innen sehr kreativ mit der Situation um und es wurden Aufgabenformate entwickelt, die sehr kreativ und motivierend waren und im regulären Schulalltag sicherlich nicht entwickelt worden wären. Für Schüler*innen, die Probleme bei der Nutzung der Programme haben, wurden Anleitungen in Form von Videos erstellt und es wurden hierzu auch Beratungsstunden in der Schule angeboten.
Hier vermisse ich in den Gesprächen und Diskussionen, die ich geführt habe, Verständnis für Lehrer*innen, die plötzlich und unvorbereitet ausschließlich digital unterrichten sollten. Es wurden teilweise Konzepte, Kompetenzen und Materialen gefordert, die bisher nicht relevant oder zumindest nicht im Fokus waren. Diese mussten parallel zum Fernunterricht erworben und erprobt werden. Ich sage es einmal so: Ein Bäcker, der von einem Tag auf den anderen anstatt in seinem elektrischen Ofen plötzlich in einem Holzofen und dann auch noch mit anderer Hefe, anderem Mehl und ohne seine Knetmaschine Brot backen soll, der braucht auch ein paar Anläufe, bis dass im neuen Setting wohlschmeckende und ansehnliche Laibe hergestellt werden.
Meine Töchter? Die haben es gut gemeistert. Ihren Tagesablauf haben sie dahingehend geändert, dass sie ihren Schulalltag zwei bis drei Stunden später beginnen, aber auch enden ließen. Sie haben bis 9 oder 10 Uhr geschlafen anstatt um 6:30 Uhr aufzustehen. Nur für Videokonferenzen, die „unverschämterweise“ von den Lehrer*innen schon um 8:30 Uhr angesetzt wurden, kamen sie schon vorher aus dem Bett. Sie saßen aber auch bis zum frühen Nachmittag – teilweise auch länger in ihren Zimmern und bearbeiteten Aufgaben, chatteten mit Freund*innen über die Vokabeln oder Formeln, nahmen an Videokonferenzen teil und riefen um Hilfe, wenn es mal nicht weiter ging.
Da auch ich mich durch den Lockdown im Homeoffice befand, konnte ich unsere Kinder entsprechend unterstützen. Jetzt kenne auch ich mich wieder gut mit Stromstärke und Spannung in Reihen- und Parallelschaltung, dem Unterschied zwischen Simple Past und Present Perfect, der Versalzung von Gewässern oder der Rolle des Papageno in Mozarts Zauberflöte aus.
Da wir die Möglichkeit hatten, auch die beiden jüngeren Töchter mit einem Notebook auszustatten, konnten sie ohne Abstimmung und Gerangel jederzeit auf das digitale Unterrichtsmaterial und die Plattformen zugreifen. Bildungsgerechtigkeit? Nein, das was uns dieser Lockdown beschert hat, ist nicht bildungsgerecht. Wieder einmal mehr wird sich zeigen, dass Bildung vom Einkommen und der sozialen Stellung der Eltern abhängt. Wie soll denn beispielsweise ein Kind, dessen Eltern durch Kurzarbeit in existenzielle Sorgen getrieben werden, dessen familiärer Kosmos sich nicht um Schule sondern um drohende Arbeitslosigkeit und finanzielle Sorgen dreht, in Ruhe und unterstützt durch seine Eltern lernen? Sicherlich wäre selbst ein optimal aufgestelltes Schulsystem durch den Lockdown an seine Grenzen gebracht worden. Selbst wenn IT-Ausstattung und -Kompetenz aller Lehrer*innen und Schüler*innen gut wären, selbst wenn erprobte Konzepte für digitalen (Fern)Unterricht vorlägen, dann hätten vermutlich die psychologischen und sozialen Aspekte dieser Krise durch individuelle, familiäre Lernsettings der Schüler*innen zu Ungleichheiten geführt. Eine zum Ende des Schuljahres am Martinum durchgeführte Umfrage bei allen Schüler*innen hat zumindest gezeigt, dass nur bei 2% der Teilnehmenden die technische Ausstattung Hindernisse beim Lernen dargestellt hat. Aber auch das sind 2% zu viel.
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